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  (Fortsetzung von Seite 11)

"Stimmt, er hat jetzt irgendwo einen Pfeil im Körper und deswegen werde ich ihn kriegen, also sei still. Wenn du zu feige bist geh doch nach Hause und lern stricken." Nach diesen Worten herrschte wieder Stille und Seraphin hörte das Geräusch von stampfenden Stiefeln welches immer leiser wurde. Langsam kam er sich wirklich wahnsinnig vor. Was Horaxedus wohl gerade machte? Ob er Knarguf schon lange gefunden und zur Rechenschaft gezogen hatte? Oder war er längst tot? Seraphin zwang sich innerlich zur Ruhe und überquerte endgültig die Lichtung. Doch noch bevor er am anderen Ende angelangt war hörte er einen Schrei. "Ahhhhrggg! VERDAMMT GEROND, HILF MIR! SCHIEß DOCH, ER HAT M … AAHH!!!" Seraphin spürte wie sich eine Gänsehaut über seinen Körper zog als er das Geräusch von splitternden Knochen und reißender Haut hörte. Dann glaubte er zu hören wie ein schwerer Körper über den Boden weggeschleift wurde. Danach war wieder Stille, nahezu gespenstisch und nur unterbrochen von einem leisen Wimmern und widerwärtigem Schmatzen. "So eine Scheiße. So eine scheiße… ich will weg hier." Flüsterte es plötzlich. "Hör auf zu jammern, Gerond." "Bei Innos, der frisst gerade Resan!!! ER FRISST IHN, ARAN!!! JETZT GERADE!!!" "Halts Maul Gerond, sei einfach still verdammt!!!" Übelkeit stieg in Seraphin auf als man in dem folgenden Schweigen wieder das Geräusch von mahlenden Kiefern und reißenden Muskelsträngen hörte. Ein Jäger weniger. So einfach war das. Mit gemischten Gefühlen sah der Schwarzmagier auf seine Hände hinab und es wunderte ihn nicht zu sehen, wie sie sich so fest um das Holz klammerten dass sie den Stab fast zerbrachen und die Knöchel weiß hervortraten.
Plötzlich wurden wieder Schreie laut und das Geräusch von einer Klinge die nutzlos durch die Luft schnitt, begleitet von Brüllen und dem Stampfen schwerer Schritte. Und mit einem Male wurde Seraphin klar, das er nicht einfach länger zusehen oder vielmehr zuhören konnte wie diese Männer um ihr Leben kämpften. Hastig löste er sich aus seiner Starre und schickte sich an in Richtung der Kampfgeräusche loszurennen. Doch noch bevor er den ersten Schritt getan hatte spürte er wie irgendetwas seinen Mantel traf, den Stoff durchschlug und sich in das darrunterliegende Rückenfleisch bohrte. Die Wucht des Geschosses war so groß das der Schwarzmagier aus dem Lauf herumgerissen wurde und schmerzhaft auf dem Boden aufkam. Hastig rappelte Seraphin sich wieder auf und warf sich in die Büsche. Gerade noch rechtzeitig, bevor der nächste Bolzen dort die Luft durchschnitt, wo sich kurz zuvor sein Kopf befunden hatte. "Bleib stehen!" Seraphin dachte nicht eine Sekunde daran. Schnell rannte er weiter während hinter ihm bereits der nächste Bolzen durch die Luft raste und irgendwo im Geäst verschwand. Im Laufen warf er einen Blick zurück und erkannte den Jäger von vorhin, die silbernen Haare, der lange schwarze Wolfsfellmantel und die Armbrust in seiner Hand. Die toten Augen verengten sich zu Schlitzen während er den nächsten Bolzen auf die Sehne legte. "Stirb, du Ratte." Seraphin spürte den Schmerz in der Schulter als ihn ein weiterer Bolzen streifte und die Haut aufriss, zum Glück aber nur oberflächlich. Mit schnellen Schritten suchte er Schutz hinter dem erstbesten Baum und lehnte sich keuchend an die Rinde. Gleichzeitig bemerkte er was für einen Fehler er gerade gemacht hatte. Jetzt saß er in der Falle, sobald er aus dem Schatten des Stammes treten würde wäre er ein freies Ziel. Irgendwo im Nebel hörte er immer noch die Kampf- und Angstschreie der beiden anderen Jäger, begleitet von dem nervenzerreißenden Brüllen des Snappers. Dann verzog er schmerzverzerrt sein Gesicht als er warmes Blut seinen Rücken hinunter rinnen spürte und richtete das Wort an seinen Verfolger. "Ihr seid Knarguf der Illaner, habe ich Recht?!" Als Antwort schlug ein weiterer Bolzen halb durch die Baumrinde und ein paar Splitter landeten in Seraphins Gesicht. "Wer ich bin kann dir egal sein. Aber du wirst es eh niemandem mehr erzählen können. Du wirst sterben wie all die anderen", schallte es zurück und spätestens jetzt wusste Seraphin in wessen reizender Gesellschaft er sich befand. Trotzdem, er musste Zeit gewinnen. "Warum schießt ihr auf mich? Ich habe euch nichts getan, was soll das?!" Seraphin war klar das die Worte wohl herzlich wenig ausrichten würden aber wenigstens lenkten sie diesen Wahnsinnigen noch etwas ab. "Weil du zu diesen Zirkelbrüdern gehörst. Diesen Ratten die meinen sie würden Beliar dienen." Ein kaltes Lachen erschallte, bevor der Illaner fortfuhr. "Und weil du vorhast mich zu töten. Genauso wie der andere Kerl der bei dir war." Seraphin sog erschrocken die Luft ein. "Ja, da staunst du. Für wie blöd haltet ihr mich eigentlich? Ich beobachte euch schon seitdem ihr in diesem Wald seid. Lasst euch gesagt sein, niemand tötet mich, am wenigsten die Ratten des Zirkels! Und jetzt STIRB!"
Ein weiterer Bolzen schlug neben Seraphin ein und er tat das einzige was ihm noch übrig blieb. Mit einem Satz sprang er hinter dem Baumstamm hervor und rannte auf den Illaner zu. Denn er hatte genau abgeschätzt, wie lange dieser zwischen den Schüssen brauchte um den nächsten Bolzen nachzulegen. Das war seine einzige Chance und verbissen stürmte er weiter auf den Illaner zu. Mittlerweile war Seraphin heran und sah, wie Knarguf bereits nachlud und die Armbrust mit einem triumphierenden Gesichtsausdruck auf ihn richtete, als er erkannte, das es noch knapp zwei Manneslängen waren die sie trennten. Doch eins hatte der Illaner nicht miteingerechnet. Seraphins Stab. Laut brüllend hob der Schüler seine Waffe wie eine Lanze und rammte ihn seinem Widersacher direkt auf die Brust. Diesem wurde die Armbrust aus den Händen geschleudert und er selbst taumelte keuchend mehrere Schritte rückwärts, bevor ein Baum ihn stoppte. Doch Knarguf besaß erstaunlich schnelle Reaktionen und nur wenige Augenblicke später war er wieder auf den Beinen und stürzte auf Seraphin zu. Der Schwarzmagier versuchte noch seinen Stab vorschnellen zu lassen doch der Bolzen in seinem Rücken lähmte ihn und die Schmerzen reichten hinauf bis in seine Schulter so dass die Reaktion viel zu langsam kam. Sein Gegner wich spielerisch aus und warf ihn mit seinem Gewicht zu Boden. Damit landete Seraphin genau auf seiner Wunde und das Geschoss bohrte sich noch weiter in das Fleisch während der Schwarzmagier vor Schmerzen aufschrie. Über ihm ertönte ein triumphaler Aufschrei und er spürte wie Knarguf ihn mit seinem eigenen Gewicht am Boden hielt, den Stab packte und langsam immer weiter auf seinen Hals drückte um ihn zu erdrosseln. Verzweifelt versuchte Seraphin mit seinen Händen gegenzuhalten aber der Illaner besaß erstaunliche Kräfte und befand sich in einer sehr viel günstigeren Position. Hinzu kam das Seraphin mittlerweile fast gar kein Gespür mehr in seinem rechten Arm hatte, die Verletzung mit dem Bolzen musste doch stärker sein als er dachte. Verbissen drückte er gegen den Stab aber seine Kräfte ließen im gleichen Maße nach wie das wahnsinnige Leuchten in den kalten Augen des Illaners zunahm. Verdammt, wo war nur Horaxedus? "Du… wirst… mich… nicht… töten…" röchelte Seraphin und starrte in die leblosen Augen seines Widersachers. Dieser grinste nur irre und drückte immer weiter zu. "Wer sollte mich schon daran hindern du Ratte…und jetzt stirb endlich!" Verzweifelt spürte der Schwarzmagier wie sein Hals immer mehr und mehr zusammengedrückt wurde.
Und dann erblickte Seraphin plötzlich einen Schatten hinter den breiten Schultern seines Gegners. Einen großen Schatten. Auf zwei Beinen und mit sehr scharfen Zähnen. Knargufs Augen weiteten sich plötzlich als er das Brüllen hinter sich vernahm doch es war zu spät. Einzelne Blutspritzer landeten in Seraphins Gesicht als die Bestie den Ilaner packte und herumriss als wäre er eine übergroße Stoffpuppe. Das Brechen der Knochen vermischte sich mit dem Gebrüll des Snappers als Knarguf wie ein Spielzeug hin und her gerissen wurde. Seraphin sah sich das schauerliche Ballett des Todes mit gemischten Gefühlen an. Denn wenn der Snapper fertig war, wollte er nicht wissen wie es weiterging. Ob er nun von einem Tier oder einem wahnsinnigen Menschen getötet wurde, tot blieb tot. Schließlich landete Knarguf mit einem undefinierbaren Geräusch, welches Seraphin einen Schauer über den Rücken jagte, auf dem Boden und blieb reglos liegen. Der Snapper knabberte noch ein bisschen lustlos an einem Arm des Illaners, dann wandte er sich schließlich um und ging mit wankenden Schritten auf den Schwarzmagier zu.
Die eine Flanke der Bestie zitterte wie Espenlaub, ein Pfeil steckte in dem Beinmuskel, ein weiterer irgendwo zwischen den harten Rückenschuppen. Quer über den Kopf zog sich ein tiefer Schnitt der das eine Auge des Snappers für immer geschlossen hatte und unzählige weitere kleine Wunden zierten den gesamten Körper. Doch er lebte immer noch. Und jeder seiner Zähne war daumenlang und jetzt rot von Blut. Mit vor Schreck geweiteten Augen kroch Seraphin langsam immer weiter rückwärts doch der Snapper machte nur einen Satz und sein stinkendes Maul befand sich schließlich über dem Kopf des Schwarzmagiers. Seraphin sah in dreifache Zahnreihen als sich die massigen Kiefer wie in Zeitlupe öffnete und wunderte sich im Stillen das Beliar ihn bereits jetzt bei sich haben wollte. Doch der Tod kam nicht. Stattdessen hörte er plötzlich ein schmetterndes Geräusch und der Schädel der Bestie flog mitsamt ihrem Körper zur Seite.
Überrascht erblickte Seraphin das Ende eines Kampfstabes und erleichtert erkannte er an dem Ende des Langholzes seinen Lehrmeister welcher mit grimmigen Gesicht den Snapper fixiert hielt. "Na endlich…" keuchte Seraphin erleichtert. "Bleib liegen!", rief Horaxedus ihm zu und Seraphin hätte gar nichts anderes gekonnt, selbst wenn er gewollt hätte. Aus den Augenwinkeln beobachtete er wie die Bestie sich benommen aufrappelte und auf den Priester zustürmte aber der Snapper blutete aus zahlreichen Wunden und hatte seinem Gegner nicht mehr viel entgegen zu setzen. Der Stabkämpfer wich fast spielerisch aus und hieb mit aller Kraft auf das Genick der riesigen Echse ein. Irgendetwas unter den Schuppen zerbrach hörbar und der Snapper torkelte noch einige Schritte weiter, als wolle er einfach nicht akzeptieren dass er tot sei. Dann ließ er noch ein letztes, röchelndes Brüllen vernehmen und schlug schließlich mit einem dumpfen Geräusch auf dem Waldboden auf.
Horaxedus stellte mit einem sauberen Schnitt sicher dass er auch wirklich tot war und wandte sich dann mit besorgtem Blick an seinen Schüler, während er niederkniete. "Alles in Ordnung…?", flüsterte er mit einem Blick, der seine Frage schon von Selbst beantwortete. "Nein…", grinste Seraphin mit schmerzverzerrtem Gesicht, "aber das wird schon wieder. Geh zu Knarguf und wenn er noch lebt…", Horaxedus schaute in die Richtung die Seraphin ihm bedeutete, "dann töte ihn gefälligst", keuchte Seraphin, bevor er die Augen schloss und sich erschöpft zurückfallen ließ.
Sein Lehrmeister guckte ihn noch einmal mit schwer zu deutendem Blick an, dann erhob er sich schließlich und ging auf den regungslosen Knarguf zu…

HoraXeduS

ls Horaxedus sich auf sein gebeugtes Knie niederließ, war er bereit, den letzten Fluch des Sterbenden entgegenzunehmen. Ein Griff an die schlaffe Schulter Knargufs, ein sanfter Ruck, und der Todgeweihte lag auf dem Rücken. Ein Hauch von Mitleid wollte den Magier durchfahren, irgendetwas in seinem Innern konnte selbst diesen Mörder nicht auf dem Bauch liegend verrecken lassen. Dessen Augen öffneten sich ein letztes Mal. "Horaxedus..."

Der Schwarzmagier konnte seine Verblüffung kaum verbergen. Da lag er vor ihm, der gedungene Mörder Thorgons und zahlreicher weiterer unschuldiger Menschen. Es war, so Horaxedus sich entsann, das allererste Mal, dass die beiden Männer einander überhaupt begegneten. Und doch schien Knarguf den Glasmacher zu kennen. Der Magier fand keine Erklärung dafür. Wie gebannt starrte er den Sterbenden an, bedauernd, dass dieser Beliar gegenüberstehen würde, ohne auch nur irgendeine Information über den Schwertfisch preisgegeben zu haben, oder auch darüber, wieso er Horaxedus kennen konnte, der dem Illaner seinerseits erst vor kurzem durch sein Studium in der Bibliothek des Kastells auf die Spur gekommen war.

Die Züge Knargufs entgleisten, es war ganz offensichtlich fast vorbei mit ihm. Horaxedus bemerkte ein schwaches Zucken um den Mund des Illaners. Aus einem nicht näher definierbaren Gefühl von Anstand beugte der Glasmacher sein Haupt zu ihm hinunter, dem Sterbenden würdig die letzte Beichte abzunehmen. Zum Dank spuckte Knarguf dem Magier verächtlich ins Gesicht, bevor er schließlich für immer die Augen schloss.

"Ist er tot?", fragte eine zitternde Stimme unverhofft, und als Horaxedus sich umwandte, blickte er in das angsterfüllte Gesicht eines blonden Mannes mittleren Alters. Es war Gerond, der letzte der stolzen Jäger aus der Oberstadt, die ausgezogen waren, den schwarzen Snapper zur Strecke zu bringen. "Ja", entgegnete der Schwarzmagier und erhob sich. Gerond war offensichtlich unbehaglich zumute. Angesichts der Situation war dies allerdings auch nicht weiter verwunderlich. Horaxedus wischte sich mit dem Ärmel das Gesicht ab. "Wer seid Ihr?" "Mein Name ist Gerond. Knarguf wollte ein gutes Wort beim Rat der Händler für mich einlegen. Ich bin..." "Ja?" "Ach egal", seufzte der Fremde, "nun wird aus meiner Mitgliedschaft wohl sowieso nichts mehr." Horaxedus war aufrichtig ergriffen von soviel ehrlicher Trauer. Zeit für ein Geschäft mit dem Tod. Ganz im Sinne des Verblichenen, versteht sich.

"Ihr seid Gerond, der andere Erbe?" Für einen Menschen, der aus Überzeugung Zeit Lebens nicht gelogen hatte, wirkte der Schwarzmagier bei diesem verblüfften Ausruf sehr überzeugend. "Erbe? Ich? Ich verstehe nicht..." "Mein Name ist Horaxedus, mein Freund Knarguf hat euch sicher von mir erzählt. Seine letzten Worte eben, ich bin noch ganz ergriffen. Nur wir beide also..."

Gerond stand der Mund weit offen, als ihm Horaxedus die schier unglaubliche Geschichte des einsamen Einzelgängers Knarguf auftischte, der Zeit seines Lebens nur zwei Menschen kennengelernt hatte, denen er wirklich vertrauen konnte. Er, Gerond, sollte also tatsächlich gemeinsam mit dem freundlichen Fremden namens Horaxedus das gesamte Vermögen des verstorbenen, herzensguten Knarguf erben? Das war kaum zu glauben. "Das ist kaum zu glauben, nicht wahr?", bekräftigte der Magier. Doch Gerond hatte sich bei skrupellosen Geldverleihern von Khorinis viel zu hoch verschuldet, so dass glauben oder nicht glauben längst nicht mehr zur Debatte stand. Der Illaner hatte Zeit Lebens ein erhebliches Vermögen angehäuft. "Der arme Knarguf", murmelte Gerond aufrichtig.

"Ich muss mich um meinen Begleiter kümmern", blies Horaxedus zum Aufbruch. "Er ist verletzt und muss umgehend versorgt werden." Gerond nickte und stand ein wenig unbeholfen im Wald herum. Der Magier half ihm aus seiner Lethargie: "Wir müssen den Nachlaß schnell sichten, damit... es sich nicht verzögert." Dies leuchtete dem unverhofften Erben selbstverständlich ein. So einigten sich die beiden Männer darauf, dass Gerond sämtliche Unterlagen aus Knargufs Haus schnellstmöglich hinauf in das alte Kastell bringen sollte, damit die Erbschaft schnell und gerecht aufgeteilt werden konnte.

Als der angesehene Bürger sich eilig auf den Weg in die Stadt begeben hatte, machte sich Horaxedus daran, den verwundeten Seraphin vom Boden zu heben und so gut es ging für den Rückweg zum Kastell zu stützen. "Geht's?", erkundigte sich der Glasmacher kurz, als er spürte, wie sein Schüler die Zähne aufeinander biss. "Besser als Deinem guten alten Freund..." lächelte Seraphin schwach.


 

Seraphin

eraphin spürte seine rechte Schulter schon lange nicht mehr. In einem weiten Kreis um das Schulterblatt schien alles taub zu sein und jeglichem Leben zu entfliehen. Horaxedus bemühte sich seinen Schüler so gut zu stützen wie es eben ging aber auch der provisorische Verband auf der Wunde des Schwarzmagiers war mit mehr gutem Willen als Können angelegt worden denn keiner der beiden Stabkämpfer kannte sich in der Kunst des Heilens gut genug aus. Es reichte gerade dazu die Blutung notdürftig zu stoppen. Mittlerweile hatte die beiden Männer das untere Ende des Kastellhangs erreicht. Horaxedus ließ Seraphin vorsichtig auf den Boden gleiten und sein Schüler stützte sich unbeholfen mit dem einen Arm auf der feuchten Erde ab. Es war mittlerweile hell geworden und Seraphins Herz tat einen erschrockenen Sprung als er den blutgetränkten Stoff seines rechten Ärmels erblickte. Schweiß stand auf seiner Stirn und sein Atem ging hektisch und unregelmäßig während er sich mit vor Schmerz zusammengebissenen Zähnen an Horaxedus wandte. "Irgendwie habe ich ein Talent dafür mich in Schwierigkeiten zu bringen, fürchte ich…" Der Priester verzog keine Miene nur in seinen Augen blitzte es für einen Moment spöttisch auf. Doch dann kehrte wieder die Sorge in seinen Blick zurück. Auch Seraphin versuchte der Situation nur vergebens etwas ihrer Schärfe zu nehmen doch insgeheim wusste er, das die nächsten Stunden wohl nicht so schön für ihn werden würden. Sogar noch unschöner als die Vergangenen in denen er durch den Wald gehumpelt und bei jedem Ast der seine Schulter streifte geflucht hatte wie ein Händler dem seine Genehmigung entzogen wurde. Und Händler konnten gut fluchen…

Horaxedus sah mit zweifelndem Blick den Hang hinauf, dann betrachtete er seinen Schüler. "Das wird nicht leicht werden, Seraphin." Seraphin folgte seinem Blick. "Na und wenn ich runterfalle kraxle ich eben noch mal rauf, ich mag klettern, schon seitdem ich ein kleiner Junge war." Gab der Schwarzmagier sarkastisch zurück. Der Blick seines Lehrmeisters machte klar dass er ihn aufgrund dieser Aussage immer noch für einen kleinen Jungen hielt und er seufzte resignierend. "Na gut, dann mal los. Nur noch ein bisschen Gestrüpp und Steine bis nach Hause…" Er reichte ihm seine Hand und Seraphin zog sich, begleitet von einem kleinen Schmerzenslaut daran hoch. Horaxedus guckte ihn noch mal mit gutmütigem Spott in seinen Augen an und Seraphin zog eine trotzige Grimasse.

Die beiden Männer machten sich an den Aufstieg und er ging glücklicherweise auch ohne größere Probleme von statten. Horaxedus lief etwas seitlich hinter seinem Schüler, für den Fall das dieser abrutschte und er ihn so rechtzeitig auffangen konnte. Gleichzeitig "schob" der Priester ihn irgendwie weiter, sobald Seraphin aufzugeben drohte. Seraphin ärgerte es, das er noch nicht mal mehr in der Lage war diesen dämlichen Hang hinaufzuklettern aber gleichzeitig machte es ihm klar, wie ernst sein Zustand war. Während der Nacht war sein Herzschlag immer schmerzhafter geworden und kalter Schweiß benetzte seinen Körper wie ein dünner Film. Seit Atem war hektisch und immer öfter musste er anhalten und unter Horaxedus prüfendem Blick Pause machen. Anfangs hatten sie noch überlegt, den Bolzen einfach herauszuziehen doch dann erinnerte sich Seraphin an Renatas Worte welche er vor langer Zeit bei einem gemütlichem Essen im Refektorium vernommen hatte. Es ging um das Heilen, welches sie und Rhodgar schon sehr gut beherrschten und darum, dass man mit Pfeilen, Bolzen und anderen Geschossen immer vorsichtig sein sollte, denn wenn man sie unwissend entfernte konnte es passieren, dass das Blut umso schneller aus dem Körper strömte.

Doch Seraphin hatte eine ganz andere Befürchtung welche ihm in der letzten Stunde ihres Weges immer realistischer erschienen war, die er sich aber bis vor kurzem nicht hatte eingestehen wollen.

In diesem Moment erstiegen die beiden Männer die letzten Schritte zum Kastell und das Tor öffnete sich diesmal glücklicherweise ohne lange Widerrede. Seraphin trat zusammen mit Horaxedus hindurch und die beiden blieben schließlich in der Eingangshalle stehen. Die Stille des Kastells umfing sie als sich die beiden Torflügel lautlos hinter ihnen schlossen, nur unterbrochen von dem Geräusch der Blutstropfen welche von Seraphins Ärmel hinunter auf den Hallenboden fielen. Die Wände schienen sich zu krümmen und die Decke plötzlich näher zu kommen während Seraphin sich zu Horaxedus umdrehte. Langsam und mit zitternden Fingern schob der Schüler seien blutdurchtränkten Ärmel zurück, welchen er in den letzten Stunden immer mehr zu verbergen gesucht hatte und entblößte seinen Unterarm. Die Hand war seltsam gekrümmt, die einzelnen Finger ragten wie dunkelblaue Stümpfe aus dem geschwollenen Fleisch hervor, an ihren Enden fast schwarz angelaufen. Horaxedus sog scharf die Luft ein und starrte erschrocken auf das, was einmal ein Arm gewesen war. Dann durchbrach Seraphins erschöpfte Stimme die Stille des Kastells.

"Ich glaube, ich … habe ein größeres Problem a-als ich dachte." Die Welt schien sich plötzlich zu drehen und die dunklen Mauern verschwammen vor seinem Blick. "Dieser B-Bastard war noch nicht mal ein ehren… ehrenvoller Jägersmann, Horaxedus…" Die Augen des Priesters weiteten sich als er den nächsten Satz seines Schülers vernahm.

"Wie kann m-man… kann man…nur mit vergifteten Bolzen schießen…?"

Dann sackte Seraphin vor seinem Lehrmeister zusammen und erbrach sich qualvoll, bevor er gekrümmt und hektisch atmend auf dem Hallenboden liegen blieb...

Renata

n den letzten Tagen hatte Renata es sich zur Gewohnheit gemacht, jeweils gegen Abend auf der obersten Stufe der Treppe zum ersten Stock für eine kleine Weile gemütlich Stellung zu beziehen. Hier, im angenehmen Halbdunkel, hatte sie sowohl das Pentagramm als auch den Gang zum Außentor im Blick, so wartete sie dort, ob einer ihrer Freunde oder einer der sich herumtreibenden Magier den Weg zurück ins Kastell finden würde. Gerade, als sie sich für diesen Abend zurückziehen wollte, hörte sie den Hall des sich schließendes Tores. Jemand war angekommen und ging in Richtung der steinernen Statue. Es waren HoraXeduS und Seraphin, wie sie jetzt erkennen konnte. Leise sprachen der Priester und der Magier miteinander. Renata, zufrieden mit dem Wissen, dass beide wohlbehalten zurück waren, war schon im Begriff aufzustehen und in ihr Zimmer zu gehen, als Seraphin unversehens in sich zusammenfiel und auf dem Boden krümmte. Keine Frage, dass es sie jetzt dort oben nicht mehr hielt und sie so schnell es ihr möglich war, die Treppe hinunter eilte. Das war kein Spaß, so wie es Seraphin in Krämpfen zusammenzog. HoraXedus war bereits neben ihm in die Hocke gegangen und stütze ihn an dessen Schulter, als die Magierin die beiden erreicht hatte. Schnell hatte sie Sera eine Hand unter die schweißnasse Stirn geschoben um ihm zu helfen, bis dass das Würgen nachließ. Die andere Hand hatte sie ihm auf die rechte Schulter gelegt und zog sie, als Seraphin vor Schmerz zusammen zuckte, schnell zurück. Die Hand war nass von Blut

"Was ist passiert?", wandte sie das Wort an HoraXedus. "Für einen Moment hatte ich gedacht, er hätte etwas Verdorbenes gegessen, aber das …" sie hielt HoraXedus die blutige Hand hin, als wüsste er nicht, dass Seraphin verletzt war. Der Priester schüttelt den Kopf "nein, ein Armbrustbolzen, der vielleicht nicht so präzise traf, wie er wohl sollte. Aber dafür brachte er wie es scheint ein schleichendes Verderben mit sich." Seraphin hatte sich inzwischen keuchend auf die Seite gerollt und hielt mit der Linken seine rechte, blauschwarz verfärbte und geschwollene Hand fest. Die Magierin verstand, was HoraXeduS meinte. "Du hast dir eine ungute Zeit für diese Vergiftung ausgesucht, mein Freund, gerade jetzt ist die Heilerin nicht da. Aber Kopf hoch, ich werde dich schon wieder hinkriegen". Hoffentlich, dachte sie traurig, hoffentlich würden die bescheidenen Möglichkeiten eines Barbiers ausreichen. Hoffentlich.

Seraphin versuchte etwas zu sagen, HoraXeduS und die Magiern beugten sich noch weiter hinunter, um zu verstehen, was er flüsterte: "Schatten…kraut, …. Tasche, …Mantel….". Mehr brauchte er nicht zu sagen, sehr gut erinnerte sich Renata noch an dieses Heilung bringende Kraut, dass auch Rhodgar schon zurückgeholt hatte, kurz bevor er das Reich Beliars erreichte. Gut zu wissen, dass noch etwas davon existierte, auch bei Seraphins Verwundung würde es vielleicht das Zünglein an der Waage sein bei der Entscheidung über Leben oder Tod. Doch zunächst wurden zwei Dämonen beauftragt, den Verletzten ins Krankenzimmer zu bringen. Renata folgte der Gruppe und hätte den Priester fast grußlos stehen lassen, erst im letzten Moment drehte sie sich noch einmal um und nickte ihm zu. Sera musste schnellstmöglich das Schattenkraut kauen, der Bolzen musste entfernt und die Schulter versorgt werden. Und das ganze auf die altertümliche, auf die blutige Art. Ach, warum war nur die Heilerin nicht hier. Für einen Moment dachte die Magierin daran, dass auch Meditate in Lebensgefahr war, genau wie Rhodgar, der zu ihrer Befreiung aufgebrochen war. Hoffentlich kamen die beidem bald und vor allem lebend zurück. Dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem zu, der hier in Lebensgefahr war und griff nach dem Beutelchen, das sie aus Seraphins Mantel gefischt hatte und nach einem Messer, falls der Bolzen Widerhaken haben sollte…

Seraphin

eraphin sah eine gewaltige Burg auf einem riesigen Berg… Die Burg wurde von Dutzenden von geflügelten Dämonen umflogen welche vereinzelt immer wieder spitze Schreie ausstießen…

Das Land ringsherum war kahl und tot, kein bisschen Leben gedieh auf dieser Erde… ein kalter Wind wehte und giftiger Staub wirbelte durch die stinkende Luft… oben auf der Burg geschah plötzlich etwas… eine Jungfrau erschien auf dem toten Felsen, leuchtend hell und ihr blaues Kleid wehte in schwindelnder Höhe… wie ein farbiger Punkt reinen Lebens hob sie sich von der grauen Welt des Todes ab und strahlte weit, weit in das Tal hinab…

Dann raste plötzlich eine Feuerseule in den Himmel und ein Teil des Berges schien sich zu erheben um auf gigantischen Schwingen die Luft zu durchpflügen… es war ein Drache, ein riesiger, dunkler Drache der nur darauf wartete sich das Leben seines Opfers anzueignen… immer weiter wurde die Jungfrau von den geflügelten Dämonen auf ihren Herrn zugetrieben doch plötzlich kam Unruhe in die Reihen der Dienerwesen…

Ein Schatten erschien im Tal… nur klein doch er kam näher, bis er schließlich zu einer Gestalt heranwuchs, einer dunklen Gestalt in schwarzer Rüstung… ein Ritter, ein schwarzer Ritter…

Und plötzlich stieß der Drache einen wilden Ruf aus als er seinen Gegner erblickte und sich mit wütendem Blick auf seinen Widersacher stürzte um ihn daran zu hindern die Jungfrau zu retten…

Mit einem Ruck öffnete Seraphin die Augen und merkte verwirrt, dass er nur geträumt hatte. Seltsam, wieso drehten sich seine Gedanken zum ersten Mal seit langer Zeit wieder um die klassische Geschichte von bösem Drachen, Jungfrau und edlem Ritter? Es dauerte ein wenig bis ihm klar wurde wo er sich befand. Einen Moment grübelte der Schwarzmagier während er sich in seinem Bett aufrichtete und die Einrichtung seines eigenen Gemachs erkannte. Dann kamen die Erinnerungen an den Vortag zurück und mit einem ängstlichen Gesichtsausdruck betrachtete er seine rechte Hand, besorgt dort immer noch die verkrümmten Äste eines alten Dornenbuschs, anstatt seiner Finger zu sehen. Doch es war alles normal, selbst die Schwellung war abgeklungen und die Haut gesund gefärbt, nur ein bisschen blass. Erleichterung machte sich in dem Schwarzmagier breit, ein weiteres Mal hatte das Schattenkraut jemandem das Leben gerettet. Diesmal war er selbst der Glückliche gewesen welcher von den heilenden Schwingen dieser göttlichen Pflanze auf den Pfad der Genesung getragen worden war. Er konnte sich nur verschwommen daran erinnern was passiert war, nachdem Rena ihn gefunden hatte.

Sie und sein Lehrmeister stützten ihn auf dem Weg zum Krankenzimmer während er selbst immer wieder von Krämpfen geschüttelt zu Boden sank. In dem Raum der Heiler hatte Rena ihm ein paar Blätter der nachtschwarzen Wunderpflanze in die zitternden Hände gelegt und er fing ohne Umschweife an die flaumigen Fasern in seinem trockenen Mund zu zerkauen. Der Saft der ihm dabei den Gaumen hinunter rann schmeckte seltsam, fremd aber auf keinen Fall schlecht. Und fast augenblicklich spürte er wie irgendetwas durch seine Adern raste wie ein schwarzer Blitz. Es war nicht zu beschreiben aber es fühlte sich an als würde in seinem Innern ein regelrechter Kampf stattfinden. Doch das war nur der erste Schritt gewesen denn der Bolzen saß immer noch in seinem Rücken und verteilte das schleichende Gift wie eine bösartige Wolke. Rena hatte ihm befohlen sich auf den Rücken zu wälzen und still zu halten, sofern es ihm denn zwischen den Krämpfen möglich gewesen war. Horaxedus stand währenddessen nur in einer dunklen Ecke und sein Gesicht lag in den Schatten verborgen. Seraphin wusste nicht ob sein Lehrmeister sich um ihn sorgte oder seinen Schüler verfluchte, weil dieser seine Befürchtung nicht früher geäußert hatte. Doch Seraphin hatte in diesem Moment auch ganz andere Probleme. Eins davon bildeten Rena's Worte in denen sie ihm eröffnete dass der Bolzen Widerhaken hatte. Ganze vier Stück und jeder einzelne von ihnen steigerte die Schmerzen auf die nächste grausame Stufe des Möglichen. Rena ließ ihm aber gar nicht erst irgendeine Chance und die gemurmelten Flüche überhörte die Schwarzmagierin gnädig während sie mit irgendetwas, das aussah wie eine Mischung zwischen nordbengalischer Mistforke und orkischem Foltergerät, in seiner Wunde herumstocherte, schnitt und riss. So kam es ihm jedenfalls vor während er eisern die Zähne zusammen biss und versuchte sich an einen schöneren Ort mit günstigeren Umständen zu wünschen.
Nach einer kleinen Ewigkeit zog seine Freundin den Bolzen schließlich, begleitet von einem unappetitlichen Geräusch und unterdrücktem Schmerzensschrei des Verwundeten aus dessen Körper. Angewidert warf sie das hölzerne Mordinstrument ins Feuer wo es mit leisem Zischen nach und nach in Asche zerfiel. Dann säuberte sie die Wunde mit sauberem Wasser, legte noch ein Blatt des Schattenkrauts auf die Wundränder und verband das Ganze so gut es ihr möglich war. Das hatte Seraphin allerdings schon gar nicht mehr mitbekommen, sein Körper hatte die Strapazen des Gefängnisaufenthaltes, des Kampfes und der Verwundung mit einem plötzlichen Zusammenbruch bestraft um seinerseits die nötige Kraft für seinen Kampf gegen das schleichende Bolzengift in den Adern des Schwarzmagiers zu erhalten. Er bekam auch nicht mehr mit wie Rena und Horaxedus sich noch eine Weile unterhalten hatten, bevor sie den Dämonen befahlen, Seraphin vorsichtig auf sein Zimmer zu tragen und dort ruhen zu lassen.

(Fortsetzung auf Seite 13)